Sexualsoziologie

Sexualsoziologie
I
Sexualsoziologie,
 
spezielle Soziologie, die sich zum einen mit dem gesellschaftlichen Anteil an den Vorstellungen über die menschliche Sexualität, ihren Erscheinungsformen und Normen (die »Abweichungen« einschließend) beschäftigt und zum anderen die sozialen Bedeutungen und Folgen menschlichen Sexualverhaltens für die Gesellschaft insgesamt oder gesellschaftliche Teilbereiche untersucht. In der Perspektive der Sexualsoziologie erscheint menschliche Sexualität nicht als primär biologische oder anthropologische Gegebenheit, sondern gewinnt ihre konkrete Gestalt erst als Folge sozialer Organisation und durch die Vermittlung entsprechend sozial vorgegebener Beziehungen und Muster. Im Einzelnen untersucht die Sexualsoziologie: 1) die Bedeutung der sozialen Rollen (z. B. Geschlechterrollen), der Sozialisation (Sexualerziehung) und der gesellschaftlichen Leitbilder (Moralvorstellungen) für die Ausbildung individueller oder gruppenspezifischer sexueller Verhaltensweisen; 2) die Wechselbeziehung zwischen sozialer Zugehörigkeit (Geschlecht, Alter, soziale Gruppen- beziehungsweise Schichtenzugehörigkeit) und sexuellen Vorstellungen und Verhaltensweisen; 3) die Wirkung beziehungsweise Wirkungslosigkeit bestehender sexueller Normen.
 
Erste Impulse erhielt die Sexualsoziologie aus den psychoanalytischen und sexualwissenschaftlichen Arbeiten von S. Freud, M. Hirschfeld und I. Bloch. Von besonderer Bedeutung waren die Untersuchungen A. C. Kinseys (Kinsey-Report), die in den 1950er-Jahren breite Diskussionen auslösten, da sie auf die bestehenden Diskrepanzen zwischen herrschenden Moralvorstellungen und sexuellen Verhaltensweisen aufmerksam machten. Das Werk Kinseys fortgesetzt haben in den 1960er-Jahren besonders W. H. Masters und Virginia Eshelman Johnson und seit den 1970er-Jahren Shere Diane Hite (Hite-Reports). Heute haben sexualwissenschaftliche Befragungen einen festen Platz in der sexualwissenschaftlichen Forschung. Wie andere Ergebnisse soziologischer Forschung fließen auch ihre Ergebnisse in die öffentliche Meinungsbildung ein und haben (indem in ihnen sexuelle Verhaltensweisen und deren Motivationen transparent werden) u. a. zu Korrekturen des Sexualstrafrechts sowie zu veränderten gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber der Sexualität beziehungsweise einzelnen sexuellen Verhaltensweisen geführt.
 
 
Texte zur Sozio-Sexualität, hg. v. H. Kentler (1973);
 
Ergebnisse zur Sexualforschung, hg. v. E. Schorsch u. a. (Neuausg. 1976);
 H. Schelsky: Soziologie der Sexualität (Neuausg. 1983);
 U. Clement: Sexualität im sozialen Wandel (1986);
 
Sexualitäten in unserer Gesellschaft, hg. v. R. Gindorf u. E. J. Haeberle (1989);
 V. Sigusch: Anti-Moralia. Sexualpolit. Komm. (1990);
 P. Hertoft: Sexolog. Wb. (a. d. Dän., 1993);
 G. Hawkes: A sociology of sex and sexuality (Buckingham 1996).
II
Sexualsoziologie,
 
spezieller Zweig der Soziologie, der sich einerseits mit dem gesellschaftlichen Anteil an den Erscheinungsformen menschlicher Sexualität beschäftigt und andererseits die sozialen Bedeutungen und Folgen menschlichen Sexualverhaltens für die Gesellschaft erforscht.
 
Die Sexualsoziologie untersucht besonders die Bedeutung sozialer Rollen (z. B. Geschlechterrollen), der Sozialisation (Sexualerziehung) und gesellschaftlicher Leitbilder (Moralvorstellungen) für die Ausbildung individuellen oder gruppenspezifischen Sexualverhaltens, die Wechselbeziehung zwischen sozialen Zugehörigkeiten (Geschlecht und Alter, Gruppen, Schichten) und sexuellen Verhaltensweisen und Vorstellungen, schließlich auch die Wirkung (beziehungsweise Wirkungslosigkeit) sozialer Regeln, sexueller Normen und Tabus sowie deren entsprechende Abweichungen.
 
Von besonderer Bedeutung für die Sexualsoziologie waren die Untersuchungen Alfred Charles Kinseys (Kinsey-Report), die in den 1950er-Jahren breite Diskussionen auslösten. Die Ergebnisse und Erkenntnisse der Sexualsoziologie haben u. a. zur Korrektur von Minderheitendiskriminierung (z. B. von Homosexuellen), zur Reform von Strafrechtsbestimmungen und zu veränderten Einstellungen gegenüber der Sexualität (etwa bei Jugendlichen) beigetragen.

Universal-Lexikon. 2012.

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